Jeanne de Clisson - Frankreichs furchtloseste Piratin

Wenn man an die Bretagne denkt, kommen einem vielleicht zunächst rauhe Küsten, mystische Leuchttürme und keltische Dörfer in den Sinn. Aber tief in der Geschichte dieser Region warten Legenden von Machtkämpfen, Intrigen und Piraten!

Im 14. Jahrhundert war die Bretagne kein ruhiger Landstrich. Hier kämpften nicht nur französische und englische Könige um Einfluss, sondern auch lokale Adlige um die Herrschaft über das Herzogtum. Jeanne de Clisson wurde zur Witwe des mächtigen Olivier de Clisson, der vom französischen König hingerichtet wurde. Anstatt zu trauern, schwor Jeanne blutige Rache und machte sich auf, die Küsten der Bretagne zu beherrschen – als Piratin. Auf einem schwarzen Schiff mit blutroten Segeln, das sie „Meine Rache“ nannte, verbreitete sie Angst und Schrecken. Sie gilt als Frankreichs erste und furchtloseste Piratin.

Wer die Bretagne besucht, kann heute noch die Spuren einer Frau entdecken, die Furcht und Bewunderung zugleich inspirierte: Jeanne de Clisson, die Löwin der Bretagne.

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Die Anfänge einer bretonischen Adligen

Jeanne Louise de Belleville wurde um das Jahr 1300 in Belleville‑sur‑Vie (heute Bellevigny) im Poitou (im heutigen Département Vendée) geboren. Sie war Tochter von Maurice IV. de Montaigu, Herr von Belleville und Palluau, und Létice de Parthenay, eine Adelsfamilie, zu deren Ländereien insbesondere die Inseln Île d'Yeu und Île de Noirmoutier gehörten.
Bereits im Alter von 12 Jahren wurde sie mit Geoffroy de Châteaubriant VIII. verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hatte, Geoffroy IX. in 1314 und Louise im Jahr 1316. Nachdem ihr Bruder Maurice V. von Belleville 1320 ohne Nachkommen verstarb, fiel sein gesamtes Vermögen an sie, wodurch sie zu einer wohlhabenden Lehnsherrin wurde. Zu ihrem Besitz gehörten die Gebiete Belleville-sur-Vie, Commequiers, Île d’Yeu, Montaigu, La Garnache und Beauvoir-sur-Mer.

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1326 heiratete Jeanne ein zweites Mal, den Witwer Guy de Penthièvre, den zweiten Sohn des Herzogs der Bretagne, doch diese Ehe wurde 1330 vom Papst Johannes XXII. annulliert, da seine Familie behauptete, Jeanne sei nur auf Titel und Reichtum aus.
Noch im selben Jahr heiratete sie Olivier IV. de Clisson, Mitglied einer der mächtigsten bretonischen Adelsfamilien. Jeanne brachte beträchtliche Güter in die Ehe ein. Zu zweit besaßen sie große Ländereien zwischen dem Poitou und der Bretagne, eine strategisch wichtige Grenze zwischen französischem und bretonischem Einfluss. Ein Großteil ihres Landes bestand aus Salzfeldern, und Salz galt damals als „weißes Gold“, da es das einzige verfügbare Mittel war, um Lebensmittel zu konservieren. Gemeinsam hatten Jeanne und Olivier vier Kinder: Maurice, der schon im Kindesalter verstarb, Olivier, späterer Konnetabel des Königs (eines der höchsten Großämter Frankreichs), Guillaume und Jeanne. Ihr Mann zog häufig in den Krieg und Jeanne musste die Verwaltung ihrer Ländereien übernehmen.

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Der Krieg um die bretonische Erbfolge

Im 14. Jahrhundert war die Bretagne ein eigenständiger Feudalstaat, dessen Bevölkerung in ihrer Loyalität gespalten war. Einige schlossen sich den Engländern an, andere den Franzosen, während die meisten dem Herzog von Bretagne treu blieben.
Als 1341 der Herzog Jean III. ohne Erben starb, brach ein erbitterter Streit aus. Frankreich und England erhoben beide Anspruch auf sein Land, so begann der Krieg um die bretonische Erbfolge, der zeitgleich mit dem Hundertjährigen Krieg wütete.
Auf der einen Seite stand Jean de Montfort, Halbbruder des verstorbenen Herzogs, auf der anderen Seite Jeanne de Penthièvre, Nichte von Jean III. und Ehefrau von Charles de Blois.

Inmitten dieses Chaos stellte sich Olivier de Clisson auf die Seite Frankreichs, kämpfte unter dem Banner von König Philippe VI. von Valois und unterstützte den französischen Thronanwärter Charles de Blois, Neffe des Königs und Ehemann von Jeanne de Penthièvre (Tochter von Jeannes Exmann), der um die Kontrolle der Bretagne rang.
Während dieser Auseinandersetzung geriet Oliver de Clisson, zu dem Zeitpunkt Gouverneur von Vannes, im Dezember 1342 in englische Gefangenschaft, wurde jedoch ungewöhnlich schnell und gegen ein geringes Lösegeld und im Austausch gegen den englischen Earl of Stafford freigelassen. Dies erweckte bei König Philipp VI. von Frankreich den Verdacht, Clisson habe heimlich mit den Engländern zusammengearbeitet.

Im Jahr 1343 spann der König eine heimtückische Intrige. Er lud Olivier zu einem angeblichen Turnier nach Paris ein, um den kürzlich geschlossenen Waffenstillstand mit England zu feiern. Olivier, der ein leidenschaftlicher Ritter war, reiste auf diese Einladung hin nach Paris, doch kaum in der Hauptstadt angekommen, wurde er verhaftet, des Hochverrats beschuldigt und vermutlich gefoltert. Es folgte ein kurzer Scheinprozess auf dem Place de Grève, zusammen mit einigen anderen Adligen, die als Sündenböcke für Frankreichs militärische Misserfolge dienen sollten. Am 2. August 1343 wurde er auf dem Marktplatz der Halle aux Pourceaux in Paris wegen Hochverrats (Felonie) enthauptet. Anschließend wurde sein Leichnam am Galgen von Montfaucon aufgehängt, um ihn öffentlich zu schänden, und sein Kopf nach Nantes geschickt, wo er über dem Stadttor Sauvetout zur Schau gestellt wurde. Diese grausame Behandlung galt als abschreckendes Beispiel für Verrat und löste in der Bretagne tiefe Empörung aus, besonders bei seiner Witwe Jeanne de Clisson, die daraufhin einen erbitterten Rachefeldzug gegen den französischen König begann.

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Loyset Liédet, flämischer Miniaturmaler (ca. 1420–1483), in den "Chroniken des Herrn Jehan Froissart‘


Der Racheschwur
„Betrüger von Clisson, Philippe de Valois,
Ihr Richter, ihr Henker und du, Charles de Blois,
Verflucht seid ihr – von Gott, von der Natur,
Verflucht in euren Häusern und auf euren Schlachtfeldern,
Verflucht in euren Kindern, in euren Freuden,
Verflucht in eurer Liebe und in eurem Schlaf.
Verflucht in eurem Körper und in eurer Seele –
Möge euer Name zum Schrecken werden,
Möge Gott euch im Gebet zum Grauen werden,
Und wenn euer letztes Stündlein schlägt,
Möge kein Priester für euch beten,
Mögen eure Leiber draußen verrotten,
Und wenn ihr vor den Richter tretet,
Möge Christus selbst euch verstoßen
Und euch in das ewige Feuer stoßen, wo Judas euch erwartet!“

Emile Péhants "Jeanne de Belleville" (1868)

Nach der Hinrichtung ihres Mannes fiel auch Jeanne selbst in Ungnade und wurde als Verräterin gebrandmarkt, woraufhin der König ohne Zögern alle ihre Titel, Besitztümer und Ländereien einkassierte. Als Witwe eines Hochverräters wurde sie von der Gesellschaft verachtet und man erwartete von ihr, dass sie sich in ein Kloster zurückzog, um dort Buße zu tun. Doch anstatt sich zurückzuziehen versammelte sie eine Truppe von etwa 400 Mann, bestehend aus ehemaligen Soldaten ihres Mannes und möglicherweise Söldnern, die ihren Hass teilten, mit denen sie begann, französische Garnisonen in der Bretagne anzugreifen. Der Anfang ihrer Vergeltung.


Das Blutbad von Touffou

Ihr erster Angriff führte sie einige Zeit nach der Hinrichtung ihres Mannes vor die Tore einer Burg, die sowohl dem französischen König als auch Charles de Blois treu ergeben war und Galois de la Heuse, einem treuen Anhänger von Charles gehörte.
Dort kannte man sie als adelige Dame, deren Familie über Generationen hinweg mit der Krone verbunden gewesen war und öffnete ihr arglos die Tore, als sie um Einlass bat, ohne zu ahnen, dass sie nicht allein kam.
Kaum hatte sie die Burg betreten, ließ sie die Tore schließen und den Angriff beginnen. Was folgte, war ein Massaker von unvorstellbarer Grausamkeit. Die gesamte Garnison und alle Bewohner (einschließlich Frauen, Kinder und Bedienstete), die der Krone treu geblieben waren, wurden getötet, während die Burg geplündert und in Flammen gesetzt wurde.

Dieses Blutbad war ein klares, unmissverständliches Zeichen an den König, dass Jeanne de Clisson noch lebte, dass ihr Durst nach Rache ungebrochen war und dass jeder, der sich ihr in den Weg stellte, mit der gleichen unerbittlichen Härte zu rechnen hatte.
Die Massaker nahmen wöchentlich zu, während die Truppen der „Bretonischen Tigerin“ systematisch jeden vernichteten, der Frankreich die Treue geschworen hatte.

Philippe VI. konnte jedoch, wegen des Friedensvertrags von Malestroit, den er im Rahmen des Hundertjährigen Krieges mit dem König von England geschlossen hatte, 
nicht eingreifen. Der König von Frankreich zog es daher vor, für jede ihrer Gewalttaten die Bannerherren von Jeanne einzeln hinrichten zu lassen. Philipp VI. schickte schließlich seine Truppen, um die Burg von Clisson zu belagern, aber Jeanne de Belleville war bereits aus der Region geflohen. Sie entschied sich, den König auf einem anderen Terrain zu bekämpfen: auf dem Meer.

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Die Geburt einer Piratin

Durch den Verkauf der geplünderten Gegenstände, sowie durch die finanzielle Unterstützung englischer und bretonischer Feinde der französischen Krone, kaufte Jeanne drei Kriegsschiffe, stach mit ihren Söhnen Olivier und Guillaume in See und begann eine Karriere als Piratin. Sie ließ die Rümpfe der Schiffe schwarz anstreichen, die Segel rot färben und nannte sie „die Schwarze Flotte“, ein sichtbares Symbol ihrer Entschlossenheit gegenüber Frankreich. Ihr Flaggschiff taufte sie „Ma Vengeance” (Meine Rache). Zu ihrer Besatzung gehörten einige der blutrünstigsten Piraten der damaligen Zeit.

Von da an kreuzte Jeanne mit ihrer „Flotte Noire“ im Ärmelkanal, griff französische Handelsschiffe und königliche Versorgungstransporte an. Sie plünderte, tötete, versenkte, vor allem aber suchte sie nach französischen Adligen.
Wenn sie ein französisches Schiff kaperte, ließ sie die gesamte Besatzung hinrichten, bis auf einen Überlebenden, um als Zeuge zu dienen um andere zu warnen, was ihnen drohte, falls sie ihren Weg kreuzten, und vor allem, um dem König eine Botschaft zu senden. „Sag ihnen, Jeanne de Clisson hat dich geschickt.“ Die Adeligen, die das Unglück haben, sich an Bord zu befinden, tötete sie eigenhändig mit der Axt und warf ihre Körper ins Meer.

Ihr Ruf verbreitete sich rasch: Die „Löwin der Bretagne“ sei auf See unterwegs, ihre Schiffe schwarz wie die Nacht, ihre Segel rot wie Blut. Kein französischer Seemann wollte ihr begegnen. Ihre Brutalität machte sie berüchtigt, doch in England und bei den Feinden Frankreichs wurde sie bewundert. Man nannte sie dort „die schwarze Witwe Frankreichs“, eine Frau, die sich dem König offen widersetzte.

Schließlich gelang es der französischen Marine, Jeannes kleine Flotte aufzuspüren und zu vernichten. Mit knapper Not entkam sie gemeinsam mit ihren beiden Söhnen, Olivier und Guillaume, über das Meer. Die Flucht jedoch wurde zu einer qualvollen Odyssee. Tage- und nächtelang trieb ihr kleines Boot auf den Wellen, ohne Nahrung und ohne Hoffnung. Der kleine Guillaume erlag nach fünf Tagen schließlich Erschöpfung und Hunger in den Armen seiner Mutter. Am sechsten Tag erreichten sie die bretonische Küste in der Nähe von Morlaix, einer Stadt, die dem Clan der Montforts wohlgesinnt war. Dort traf sie Jeanne de Flandre, eine unerwartete Verbündete. Diese war keine Geringere als die mutige Ehefrau von Jean de Montfort, der seit vier Jahren auf Befehl des französischen Königs im Louvre gefangen gehalten wurde. Gemeinsam schmiedeten die beiden Frauen einen waghalsigen Plan, um den Herzog zu befreien. Das Unternehmen gelang, doch Jean de Montfort starb nur wenig später.


Das Wiedererlangen von Ehre und Besitz

Jeanne de Clisson und Jeanne de Flandre verließen daraufhin Frankreich und suchten mit ihren Kindern Zuflucht in England, wo sie unter den Schutz König Eduards III. gestellt wurden. Der junge Olivier, der bald das Vertrauen des englischen Monarchen gewann, wurde wenige Jahre später zum Ritter geschlagen. Später kehrte er nach Frankreich zurück und kämpfte im Hundertjährigen Krieg, zunächst für England, später für Frankreich, wo er zum Connétable de France aufstieg. Olivier de Clisson wurde zum bekanntesten Mitglied seiner Familie – gefürchtet für seine Härte und Grausamkeit im Kampf, die ihm den Beinamen „der Schlächter“ einbrachte.

Jeanne heiratete gegen 1349 den englischen Adligen Sire Walter Bentley, den Statthalter König Eduards III. in der Bretagne und Kommandanten der englischen Truppen, die im Namen Jean de Montforts gegen Charles de Blois kämpften.

Sie kehrte nach Frankreich zurück und konnte einen Teil ihrer Ländereien zurückgewinnen. Sie starb um das Jahr 1359, im Alter von fast 60 Jahren. Nach dem Tod seiner Mutter widmete sich Olivier V. de Clisson mit unbeirrbarem Eifer dem Ziel, das Erbe seiner Familie zurückzuerlangen. Durch Beharrlichkeit, kluges Taktieren und geschickte Verhandlungen gelang es ihm Schritt für Schritt, die verlorenen Burgen und Ländereien wieder an sich zu bringen und die Ehre der Familie de Clisson wieder herzustellen.



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Auf den Spuren der Clisson-Familie

In der Rue des Archives Nr. 58 in Paris stehen die letzten Überreste des Hôtel de Clisson mit zwei Türmen, das Olivier V. im 14. Jahrhundert bauen ließ. Heute ist es Teil des Hôtel de Soubise, in dem die französischen Nationalarchive untergebracht sind. Über dem Tor sind noch Wappensymbole zu sehen, darunter ein Löwe, das Zeichen der Familie de Clisson.

An der Mündung der Flüsse Sèvre Nantaise und Moine, kontrollierte das Château de Clisson den Südosten der Bretonischen Mark, ein komplexes Gebiet zwischen Bretagne, Anjou und Poitou. Schnell wurde es zu einer uneinnehmbaren Festung, in der sich die Familie von Clisson bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts niederließ.

Heute ist von der Burg Belleville nichts mehr zu sehen. Ihre Steine dienten 1850 zum Bau des heutigen Rathauses, das sich an der Stelle der zerstörten Burg befindet.

Jeanne de Clisson hinterlässt ein Vermächtnis, das bis heute fasziniert. Sie war eine Frau, die sich in einer von Männern dominierten Welt behauptete, die Verrat, Verlust und Trauer in unerschütterlichen Mut und gnadenlose Entschlossenheit verwandelte. Sie wurde zur Legende – als Witwe, Rächerin, Piratin und Mutter – und zeigte, dass selbst in den dunkelsten Zeiten die Entschlossenheit Geschichte schreiben kann. Wer heute durch die Bretagne reist, begegnet nicht nur ihren rauen Küsten und mystischen Dörfern, sondern auch den Spuren einer Frau, deren Mut und Tatkraft die Jahrhunderte überdauert haben.


Buchtipp:
Die Autorin Astrid de Belleville, Nachfahrin von Jeanne de Belleville, schrieb eine historisch‑kritische Biographie, die versucht, Legende und Fakten auseinanderzuhalten. Sie besitzt einen Master in mittelalterlicher Zivilisation.

Jeanne de Belleville – La véritable histoire
Centre Vendéen de Recherches Historiques, 2022, ISBN 978-2491575120

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