Jean de Carrouges und das letzte Duell im Namen Gottes

Ein einziger Kampf sollte über Wahrheit, Gerechtigkeit und göttlichen Willen entscheiden.


Manchmal beginnt eine Reise nicht mit einem Ziel, sondern mit einer Geschichte!

Jean de Carrouges, ein loyaler und stolzer Ritter hielt im Jahr 1386 ganz Frankreich in Atem, als er dem Mann gegenüberstand, den er als Verräter, Lügner und Schänder seiner Ehre sah. Sein Name ist untrennbar mit dem letzten „Duell im Namen Gottes“ verbunden. Eine Geschichte, in der Mut, Zweifel und göttliches Recht aufeinanderprallten. Heute, mehr als 600 Jahre später, führen die Wege durch die friedliche Landschaft der Normandie noch immer zu den Orten, an denen sich dieses außergewöhnliche Drama abspielte.

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Quelle: Château de Carrouges


Jean de Carrouges, sein Schloss & seine Zeit

Im späten 14. Jahrhundert war Frankreich ein Land im Wandel, zerrüttet durch den Hundertjährigen Krieg und die Pest, die ganze Landstriche entvölkert hatte. Dennoch herrschten alte Gesetze fort, darunter das „Gottesurteil“, ein Duell, in dem Gott selbst durch den Sieg des Gerechten die Wahrheit offenbaren sollte.

Jean de Carrouges wurde gegen Mitte der 1330er Jahre im Ort Carrouges in der Normandie geboren. Als Ritter diente er unter anderem dem Grafen Pierre II von Alençon und gilt als derjenige, der den Wiederaufbau der Burg von Carrouges im 14. Jahrhundert veranlasste. Sie wurde in einem Tal zwischen mehreren Teichen errichtet und besaß ursprünglich einen mächtigen, quadratischen Wohnturm, der für jene Zeit die typische Bauweise darstellte. Dieser Turm mit seiner markanten Krone aus Maschikulis auf Konsolen ist bis heute erhalten und bildet den ältesten Teil des heutigen Schlosses, der in den Nordwestflügel integriert ist.

Jeans Laufbahn begann unter schwierigen politischen und militärischen Bedingungen. Nach der vernichtenden Niederlage von Poitiers im Jahr 1356, bei der der französische König in englische Gefangenschaft geriet, trat Jean de Carrouges als Page in den Dienst des Hauses Alençon ein. Dort machte er rasch auf sich aufmerksam und nahm bereits 1364, noch als junger Krieger, an der Schlacht von Cocherel teil, in der Bertrand du Guesclin den entscheidenden Sieg über die Truppen Karls des Bösen (Charles II de Navarre) errang.

1371 heiratete er Jeanne de Tilly und festigte damit seine Stellung innerhalb des normannischen Adels. Nach ihrem frühen Tod heiratete er 1380 Marguerite de Thibouville (ca. 1362 im Château de Fontaine-la-Soret – ca. 1419), deren Familie über Besitz und Einfluss verfügte, jedoch auch in Konflikte mit dem französischen König verwickelt war, da ihr Vater Robert de Thibouville zweimal mit den Engländern kooperierte.
Aus ihrer Ehe stammen drei Söhne: Robert (1386-1448), Thomas (1388-1419) und Jean (1389-1424).

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Jacques le Gris – Freund, Rivale, Verklagter

Jacques Le Gris, ein ursprünglich enger Freund von Jean de Carrouges, stieg als niederrangiger Adeliger zu einem charmanten und ehrgeizigen Edelmann am Hof des Grafen von Alençon auf. Zwischen ihm und Jean de Carrouges entbrannte im Laufe der Zeit eine Rivalität, die von territorialen Ansprüchen, Titeln und Gunst beim Grafen geprägt war.

Die Spannungen zwischen Jean de Carrouges und Jacques le Gris verschärften sich bereits im Jahr 1382, als der Graf Jean die Kapitänswürde von Bellême verweigerte, ein Amt, das seine Vorfahren über Generationen innehatten. Diese Entscheidung war für Jean ein schwerer Affront und ein deutliches Signal, dass seine Stellung am Hof von Alençon angezweifelt wurde, und trug entscheidend zu den wachsenden Konflikten bei.

Le Gris vergrößerte seinen Reichtum weiter, indem er vom Grafen Pierre das Gut Aunou-le-Faucon, ein Besitz, der ursprünglich in Marguerites Mitgift vorgesehen war, erhielt. Dadurch demonstrierte er nicht nur seine Macht, sondern auch die wachsende Kluft zwischen den beiden Männern.

Nach einer militärischen Expedition in Schottland kehrte Jean im Januar 1386 nach Frankreich zurück. Seine Frau Marguerite behauptete, sein einstiger Freund Jacques Le Gris, habe sie während seiner Abwesenheit vergewaltigt. Es war ein ungeheurer Vorwurf, nicht nur gegen einen Ritter, sondern gegen ein System, das Frauen kaum Glauben schenkte.

Jean forderte Gerechtigkeit, schließlich ging es um seinen Ruf, und den seiner Familie, doch die lokale Rechtsprechung zeigte sich ihm gegenüber voreingenommen. Der Graf von Alençon entschied zugunsten von Le Gris, doch Jean de Carrouges erhob beim König Einspruch und wurde vor den königlichen Hof nach Vincennes geladen.

Es begann ein dramatischer Rechtsstreit, bei dem die Gerichte keine Entscheidung fanden und als letzter Ausweg ein Duell auf Leben und Tod, im Namen Gottes („judicium dei“) stattfinden sollte. Dies war ein außergewöhnliches Ereignis, da seit Ludwig IX. (Ludwig der Heilige: 1214 – 1270) gerichtliche Duelle der Vergangenheit angehörten.


Das Duell des 29. Dezember 1386

Am 29. Dezember 1386 trafen die beiden Männer, vor Tausenden Zeugen, dem König und dem Parlament, auf dem auf dem sogenannten Gelände champ clos des ehemaligen Klosters Saint-Martin-des-Champs in Paris aufeinander. Der Kampf war brutal. Le Gris dominierte phasenweise, doch Jean kämpfte verbissen, brachte schließlich Le Gris zu Boden und erstach ihn mit einem Dolchstich in die Kehle.

Der Körper von Jacques Le Gris wurde vom Scharfrichter entkleidet, durch die Straßen von Paris gezogen und am Galgen von Montfaucon aufgehängt, wo er der Natur überlassen wurde, bis Wind, Regen und Aasvögel ihn vollständig zersetzten.

Marguerites Ehre wurde somit wiederhergestellt und Jean erhielt eine königliche Pension und ein höheres Ansehen. Wenn Carrouges verloren hätte, wäre Marguerite der Prozess wegen Meineids gedroht worden, im Extremfall Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.
Es war das letzte offiziell anerkannte Gottesurteil Frankreichs.

Zehn Jahre später, im Jahr 1396, nahm Jean am Kreuzzug gegen die Osmanen teil und fiel am 25. September desselben Jahres in der blutigen Schlacht von Nikopolis, die sein bewegtes Leben tragisch beschloss.
Marguerite überlebte ihren Mann um mehr als zwei Jahrzehnte und führte mit Umsicht die Familiendomäne. Die männliche Linie der Familie Carrouges erlosch mit Jeanne, der Tochter von Robert, wodurch das Schloss über weibliche Erben weiter an andere Adelsfamilien ging.

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Quelle: Wikipedia


Historische Kontroversen und offene Fragen

Trotz des dramatischen Ausgangs bleibt die Wahrheit um die Tatfrage, ob Le Gris tatsächlich schuldig war, umstritten. Manche Quellen sahen Le Gris als Opfer eines Ränkespiels.
Die Chroniken wie die des Jean Froissart oder die Chronique du Religieux de Saint-Denis bieten teilweise widersprüchliche Einblicke, dennoch sind die Akten des Parlaments von Paris und die Notizen des Anwalts von Le Gris erhalten geblieben und geben Einblick in ein ungewöhnlich gut dokumentiertes mittelalterliches Verfahren.

Der Historienfilm The Last Duel von Ridley Scott erzählt diese dramatische Geschichte des letzten offiziellen Duells auf Leben und Tod in Frankreich. In den Hauptrollen sind Matt Damon als Jean de Carrouges, Adam Driver als Jacques Le Gris und Jodie Comer als Marguerite zu sehen. Ben Affleck spielt die Rolle des Pierre II d'Alençon (Graf d’Alençon).

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