Die französische Gemeinde Natzwiller liegt im Tal der Bruche, in der historischen und kulturellen Region Elsass. Im Laufe des 18. Jahrhunderts zog sie zahlreicher Berg- und Stahlarbeiter durch die in der Nähe gelegenen Schmieden von Rothau an. Später entwickelte sich die Textilindustrie durch die Gründung bedeutender Spinnereien und Webereien des Pioniers Jean-Frédéric Jacquel. Seine Familie besaß schon Werkstätten in mehreren Dörfern wie Rothau, Neuviller-la-Roche, Dinsheim-sur-Bruchek, sowie auch in Ottrott und Molsheim.
Der Ort war vor Beginn des Zweiten Weltkriegs bei den Straßburgern ein sehr beliebter Touristenort mit Hotel, Restaurant und Skipisten.
18. Oktober 1940: Das Elsass wurde durch einen Erlass Hitlers nach der Schlacht um Frankreich (Mai-Juni 1940) und gegen das Waffenstillstandsabkommen vom 22. Juni 1940 von Nazi-Deutschland dem deutschen Staatsgebiet angegliedert. Ziel war es, die deutschsprachigen Gebiete zu vereinen. Dazu zählten Westpreußen, das Sudetenland in Tschechien, Österreich, Luxemburg und das Elsass-Mosel-Gebiet. Es sollte der Reichsgau Oberrhein (Elsass und Baden) gegründet werden.
Bau des Konzentrationslagers
Im September 1940 entdeckte der Architekt Albert Speer während einer Studienreise in der Nähe des Dorfes Natzwiller (Natzweiler auf Deutsch) am Mont Louise einen Steinbruch mit rosafarbenem Granit. Er wurde von Hitler beauftragt, die Reichshauptstadt Berlin und anderer Großstädte des Reiches neu zu gestalten.
Es war das Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST), die mit dem Abbau des Granits beauftragt wurde. Der Geologe Oberst SS Karl Blumberg, der einen geeigneten Standort für den Bau eines Lagers finden sollte, wählte den Nordhang des Struthof-Hügels, einen Kilometer flussabwärts von der Abbaustelle. Blumberg selbst ließ sich im Hotel Struthof nieder.
Im März 1941 befahl der Reichsführer SS Heinrich Himmler die Eröffnung des Konzentrationslagers unter der Leitung des Architekten Albert Speer. Im April 1941 wurden um das Hotel herum Baracken errichtet, in denen Büros eingerichtet und Materialien untergebracht wurden.
Offiziell wurde das KZ am 01. Mai 1941 eröffnet und schon am 21. und 23. Mai 1941 kamen zwei Transporte mit 300 Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen in der Herberge des Struthofs an. Sie wurden im sogenannten Rodelsaal, dem ehemaligen Ball- und Bankettsaal der Herberge untergebracht. Später diente der Saal als Lagerplatz für Lebensmittel.
Die meisten von ihnen waren "gewöhnliche Häftlinge" (grünes Dreieck), andere waren als "Asoziale und Zigeuner" (schwarzes Dreieck), "Politische Gegner" (rotes Dreieck), "Homosexuelle" (rosa Dreieck), "Sektenanhänger" (lila Dreieck) und "Widerstandskämpfer der Wehrmacht" (SAW = Spezialabteilung Wehrmacht) gekennzeichnet.
Ende des Jahres waren 539 Häftlinge in Natzweiler registriert. Sie kamen aus Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald und mussten in Rekordzeit die Zufahrtsstraße vom unteren Lager zum zukünftigen Lager, sowie das Lager selbst bauen. Es wurde in Terrassenform in 800m Höhe in den Ausläufern der Vogesen ab 1942 angelegt. Die Materialien transportierten die Gefangenen auf ihren Rücken bis auf den Hügel, ein Anstieg von 12%. Für die Häftlinge entstanden 13 Baracken.
Die dort untergebrachten Häftlinge aus den deutschen KL (Verwaltungssprache) mussten in den elsässischen Steinbrüchen Zwangsarbeit verrichten. Der Abbau von Granit begann am 14. März 1942.
Im August 1942 wurde es offiziell zum Einweisungslager und registrierte von nun an Männer, die nie in einem anderen KL inhaftiert gewesen waren.
Im Herbst 1942 wurde im Rodelsaal eine Gaskammer eingerichtet und es wurden Experimente mit Phosgengas durchgeführt. 86 Männer und Frauen fanden dort den Tod, um eine Sammlung jüdischer Skelette für die Reichsuniversität Straßburg zusammenzustellen.
Anfang 1943 wurde in der Nähe der Herberge Struthof ein provisorisches und ambulantes Krematorium eingerichtet, bis Ende Oktober 1943 die Baracken im Norden fertiggestellt wurden. In einer von ihnen wurde das neue Krematorium eingerichtet, sowie der Aufnahmeblock, wo die Deportierten durchsucht und geduscht wurden. Die zweite Baracke diente als Gefängnis, bestehend aus zwanzig Zellen.
Zwischen den Baracken befand sich eine Grube, in die die Asche der Opfer geschüttet wurde. Diese diente als Dünger für den Gemüsegarten des Lagers. Die Asche von deutschen Opfern wurde in Urnen gesammelt, damit die Familien sie für 75-100 Reichsmark kaufen konnten.
In der ersten Jahreshälfte 1944 stieg die Zahl der Registrierungen steil an und auch Frauen wurden in das KL transportiert (23.199 Ankünfte allein bis Ende August).
Zwischen 1941 und 1945 wurden etwa 52.000 Gefangene mit zweiunddreißig Nationalitäten registriert, sowohl im Hauptlager (politische Gegner oder Widerstandskämpfer) wie auch in den Nebenlagern (osteuropäische Zwangsarbeiter und 17 % Juden).
Das Konzentrationslager Natzweiler war für das Prinzip der "Vernichtung durch Arbeit" bekannt, und wurde nur vom KL Mauthausen übertroffen. Damit zählt es zu einem der schrecklichsten und gefährlichsten Konzentrationslager. Verschiedene externe Kommandolager waren ihm angegliedert. Heute ist es das einzige KZ auf französischem Boden.
Die NN-Deportierten ( Nacht und Nebel )
Am 07. Dezember 1941 unterzeichnete Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), den "Nacht und Nebel Erlass" auf Befehl Hitlers. Dieser ordnete an, dass verhaftete Widerstandskämpfer, die von den deutschen Kriegsgerichten nicht zum Tode verurteilt worden waren, bei „Nacht und Nebel“ nach Deutschland deportiert werden sollten.
Die NN-Häftlinge wurden isoliert und alle Informationen über sie mussten streng geheim gehalten werden (Haftort, Todesort). Ihre Todesfälle wurden nicht registriert.
Von den insgesamt 7.000 Häftlingen stammten 5.000 aus Frankreich und sie wurden in den KL Groß-Rosen und Natzweiler inhaftiert. Die ersten NN-Deportierten aus Norwegen, den Niederlanden und Frankreich kamen im Juni und Juli 1943 in Natzweiler an. Weitere NN-Konvois folgten bis Juni 1944.
Diese ganz spezielle Kategorie von Häftlingen wurde noch schlechter behandelt, als andere Gefangene. Sie waren in separaten Baracken untergebracht, bekamen weniger zu essen, wurden ständig misshandelt und durften lange Zeit keine Krankenpflege erhalten. Die schwierigsten Arbeiten wurden von NN-Deportierten erledigt.
Medizinische Experimente und Menschenversuche
Das Lager Struthof ist für seine Experimente an Häftlingen bekannt.
Nachdem das KZ im Herbst 1942 durch seine Gaskammer zu einem Zentrum für Menschenversuche wurde, experimentierten drei Professoren von der Reichsuniversität Straßburg, August Hirt, Eugen Haagen und Otto Bickenbach ihre Theorien.
Im Rahmen der SS-Forschungs- und Ausbildungsgemeinschaft Ahnenerbe war ein militärwissenschaftliches Forschungsinstitut gegründet worden.
Ab dem 25. November begann Hirt, Professor für Anatomie, mit seinen Experimenten, um die Wirksamkeit der von ihm entwickelten Impfstoffe gegen die Auswirkungen von Senfgas zu untersuchen. 30 Häftlinge wurden ausgewählt und mit flüssigen Giftgas an den Armen und Handgelenken beträufelt. Dies führte zu Verbrennungen, einige Häftlinge erblindeten.
Jeden Tag wurden ihre Wunden fotografiert. Es kam zu insgesamt acht Todesfällen. Diejenigen, die überlebten, wurden nach zwei Monaten in andere Lager verlegt.
Außerdem machte er anatomischen Forschungen und wollte eine Sammlung von Skeletten zusammenstellen. Am 02. Juli 1943 trafen 86 Juden (überwiegende Männer) von Auschwitz ein, die zwischen dem 11. und 19. August mit Blausäure vergiftet wurden. Nach ihrer Hinrichtung wurden die Körper ins Institut nach Straßburg gebracht und zur Konservierung in einem Alkoholbad aufbewahrt. In diesem verweilten sie über ein Jahr lang. Die alliierten Truppen fanden bei der Befreiung Straßburgs eine große Anzahl unversehrter Leichen.
1943 nutzte der Virologe Otto Bickenbach die Gaskammer für Experimente mit Phosgengas. Unter den 23 Opfern waren vor allem Zigeuner, jedoch kam es zu keinem Todesfall. Ein Jahr später wiederholte er seine Tests mit wesentlich höheren Dosen des Gases. Vier Häftlinge starben bei den Experimenten.
Ein anderer Arzt, Eugen Haagen, injizierte Lepra, Pest oder andere Krankheiten, um die Entwicklung zu beobachten und die Auswirkungen der Ansteckung zu bestimmen.
Wenn die Gefangenen es schafften, das Experiment zu überleben, wurden sie später ermordet und anschließend verbrannt. Anschließend wurden Experimente mit Typhus durchgeführt. Aus dem Lager Auschwitz wurden 200 Zigeuner dem Professor zur Verfügung gestellt. Das Experiment war eine Katastrophe, da es 1944 in einer Epidemie endete.
Hinrichtungen und Massenexekutionen
Die ersten Hinrichtungen betrafen junge Elsässer und Moselaner, die sich gegen ihre Einberufung in die deutsche Armee weigerten. Ihre Namen waren nicht, oder nur sehr selten, in den Eingangsregistern verzeichnet. Eine genaue Identifizierung und Zählung der Opfer ist dadurch unmöglich.
Es gab fünf Kategorien von Todesfällen: Tod durch Krankheit, Erschießung, Erhängen, Erhängen als Selbstmord (Personen, die sich auf Befehl selbst erhängen mussten) und Selbstmörder.
Am 06. Juli 1944 wurden vier junge Frauen des britischen Geheimdienstes (Special Operations Executive) auf Befehl des Berliner Reichssicherheitshauptamts (RSHA) im Lager Natzweiler hingerichtet. Sie wurden zuerst in die Zellen des Gefängnisblocks gesperrt, bevor sie bei Einbruch der Dunkelheit einzeln in den Krematoriumsblock geführt wurden. Dort wurde ihnen Phenol injiziert, indem man ihnen eine Typhusimpfung vortäuschte. Ihre Leichen wurden entblößt und im Ofen des Krematoriums unter strengster Geheimhaltung verbrannt, damit die Häftlinge nichts davon mitbekamen.
Die Namen der vier Frauen sind auf der Gedenktafel für SOE-Frauen verzeichnet.
In der Nacht vom 01. auf den 02. September 1944 wurden 106 Mitglieder des „Alliance“-Netzwerks in LKW zusammengepfercht und von Schirmeck nach Natzweiler transportiert. Vor dem Krematorium wurden sie durch Genickschüsse hingerichtet und ihre Körper an Haken an der Decke aufgehängt. Später wurden die Leichname verbrannt.
Weitere 35 Mitglieder der mobilen Gruppen von Elsass-Vogesen (GMA-V) wurden in derselben Nacht getötet.
392 Gefangene sollen in nur drei Tagen auf dem Struthof ermordet worden sein.
Die Namen der Opfer sind auf der Seite "Fusillés 1940-1944" aufgelistet (Internetseite auf Französisch).
In den Steinbrüchen
Wie in anderen Konzentrationslagern auch, verlagerte sich ab 1943 der Schwerpunkt auf die Ausbeutung von Deportierten, um die Kriegswirtschaft zu unterstützen. Der Steinbruch wurde zu einem Zentrum für die Demontage von Flugzeugmotoren für Junkers, einem der wichtigsten Rüstungskonzerne des Deutschen Reiches. Dieser besaß eine Niederlassung in Straßburg.
Der Granitabbau wurde nach und nach eingestellt. Ab 1944 mussten die Häftlinge drei Tunnel in den Steinbruch graben, um in den Stollen unterirdische Fabriken einzurichten und diese somit vor Bombenangriffen zu schützen.
Ende August 1944 wurde die Region zur Kampfzone erklärt und das SS Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) beschloss, angesichts des Vormarsches der alliierten Streitkräfte, das Hauptlager zu evakuieren. Am 1. September verfasst der Lagerkommandant Friedrich Hartjenstein den Befehl zur Evakuierung. Die Häftlinge wurden nach Dachau deportiert. Am 04. und 06. September registrierte das KL Dachau 5.517 Häftlinge, die aus Natzweiler kamen.
Die Evakuierung des Lagers im September ermöglichte es nicht, das Stollenprojekt zu beenden.
Als die Amerikaner am 23. November 1944 im Lager ankamen, war es leer. In der Nähe des Krematoriums häuften sich Hunderte von Leichen, die nicht verbrannt werden konnten. Struthof war das erste vollständig evakuierte Lager, das von den Westalliierten entdeckt wurde.
1945 wurde das Lager als Strafanstalt genutzt, bevor es 1950 als historisches Monument klassifiziert wurde. Ein Jahr später wurde die Gaskammer als historisches Denkmal eingestuft.
Nachdem 1954 die Baracken einsturzgefährdet waren, blieben nur vier von ihnen erhalten, darunter die Küchenbaracke, die Baracke mit dem Krematoriumsofen und die Baracke mit dem Zellenblock.
Die Baracke, in der sich heute das Museum befindet, wurde 1976 durch Brandstiftung zerstört und wieder aufgebaut.
Das Centre Européen du Résistant Déporté und das Mahnmal
Das Centre Européen du Résistant Déporté, das sich ganz in der Nähe des Eingangs des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler befindet, wurde vom Architekten Pierre-Louis Faloci entworfen und bietet eine Ausstellungsfläche von 2.000m². Erbaut wurde es ab dem 22. Juni 2002 über dem Kartoffelkeller, der von den Deportierten errichtet wurde. Am 03. November 2005 wurde es vom Präsidenten Jacques Chirac eingeweiht.
Das Gedenkmuseum präsentiert die Geschichte des Widerstands und der Deportation in Europa während des Zweiten Weltkriegs.
Das 40,5m hohe und aus weißem Stein verkleidete Mémorial national de la déportation befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof. Entworfen wurde es vom Chefarchitekten für historische Monumente Bertrand Monnet und eingeweiht vom General de Gaulle am 23. Juli 1960. Noch am Vorabend wurde der Körper eines unbekannten französischen Deportierten im Grab in der Mitte des Mahnmals beigesetzt.
Die Rundung des Denkmals soll eine Flamme symbolisieren. Der Bildhauer Lucien Feunaux gravierte das Skelettabbild eines Deportierten. Außerdem kann man folgende Inschrift lesen: „Den Helden und Märtyrern der Deportation, das dankbare Frankreich“.
Hinter dem Denkmal befindet sich die nationale Nekropole der Deportation, in der 1.119 französische Deportierte aus mehreren Konzentrationslagern beigesetzt wurden. 113 unter ihnen stammten aus dem eigentlichen Lager Struthof.